Im Dezember 2018 wurde die Guntramstraße 44 im Stühlinger besetzt. Im Zuge der Hausbesetzung wurden neun solidarische Menschen festgenommen und erhielten eine Anklage wegen Hausfriedensbruch. Nun hat ein Teil der Gerichtsprozesse stattgefunden, die meisten sind aber schon wieder abgesagt.
In einer Stadt wie Freiburg, wo konstanter Wohnungsmangel herrscht, sind Investitionen in Immobilien eine gewinnbringende Kapitalanlage. Freiburg befindet sich aktuell auf Platz 5 der teuersten Städte in Deutschland. Das hat fatale Konsequenzen für die Menschen in dieser Stadt. Nicht nur bezahlbarer Wohnraum, sondern auch kulturelle Freiräume verschwinden zunehmend. In der Stadtverwaltung hingegen scheint es so, als würde es gar kein Problem geben. Im Gegenteil, es scheint, als betreibe diese den Versuch, das Drängen der Wohnraumproblematik einfach auszusitzen. Die Errichtung des neuen Stadtteils Dietenbach, in welchem laut Prognose der Stadt, in 5 Jahren erste Wohnungen beziehbar sein werden, ist ein wirkungsvoller Schachzug, um die aufgeheizte Stimmung gegenüber der aktuellen Wohnraumpolitik zu besänftigen. Während sich die Stadtpolitik zurücklehnt und auf bezahlbaren Wohnraum in Dietenbach verweist, wird der gegenwärtigen Problematik in keiner Weise entgegen gesteuert.
Eine besondere Problematik, die vor allem im Stühlinger oder „Im Grün“ zu beobachten war und ist, wird als Gentrifizierung bezeichnet. Diese soziale Aufwertung von bestimmten Stadtteilen ist ein Prozess, bei dem vor allem Mieter*innen mit zuvor günstigem Wohnraum verdrängt werden. Bezeichnend ist bei diesem Prozess die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, sowie die Entmietung von Mietparteien.
Mit dieser Verknappung von günstigem Wohnraum sind viele Mieter*innen dazu gezwungen ihren Lebens- und Wohnort aufzugeben.
Obwohl es zum Schutz der Mieter*innen, die einen Stadtteil entscheidend prägen, gesetzliche Regelungen gibt, werden diese gleichzeitig über verschiedene Wege von Vermieter*innen umgangen, unter anderem durch eine Eigenbedarfskündigung, eine Verwertungskündigung oder eine Mieterhöhung nach dem Mietspiegel. Eine sogenannte Milieuschutzsatzung, die dies in Teilen verhindern könnte, liegt, trotz gesetzlichen Rahmenbedingungen, im Stühlinger beispielsweise nicht vor. Häufig kündigen Eigentümer*innen Mieter*innen die Wohnungen für scheinbaren „Eigenbedarf“, um später zu renovieren und teurer zu vermieten.
Ein Paradebeispiel für diese Praxis ist das Gebäudes in der Guntramstraße 44: „Die Guntramstrasse 44 ist ein typisches Beispiel für Wohnraumentwicklung in Freiburg. Der Eigentümer, der Züricher Arzt Bertram Feil und sein Schwiegervater Bernhardt Wütz drängten alle (4) Mietparteien aus dem Haus – mit untragbaren Mieterhöhungen, dem Abstellen von Strom, Kameraüberwachung, sowie einer fragwürdigen Eigenbedarfskündigung.“¹
Die Versuche der Stadt dem Mietenwahnsinn entgegenzusteuern sind äußerst zaghaft, kaum sichtbar und führten bisher zu keinerlei Entlastung gegenüber Mieter*innen. Aus diesem Grund nehmen Aktivist*innen der Kampagne „dieWG“ Ende 2018 diese Verantwortung selbst in die Hand und besetzen das Haus im Dezember kurzerhand. Einer der Besetzenden formuliert die Motivation dafür so: „Wir besetzen, weil die Mietsituation in Freiburg untragbar ist. Unsere Viertel, Häuser und Wohnungen sind keine Spekulationsobjekte. Wohnen ist ein zentrales Bedürfnis aller und muss bezahlbar bleiben.“¹ Dieses Anliegen scheint bei den Anwohner*innen und Menschen aus der Stadt gut anzukommen. Nachdem das Haus in den frühen Morgenstunden am achten Dezember besetzt wird, wird es für die Nachbar*innenschaft und Interessierte geöffnet.
„Vor dem Haus wurde mit Passanten und Passantinnen bei gelassener Stimmung über die prekäre Wohnsituation vieler in Freiburg geredet.“, heißt es dazu in der Pressemitteilung der WG².
Auch der, für Wohnraumsicherung zuständige, Kultur- und Sozial-Bürgermeister der Stadt Freibrug Ulrich von Kirchbach stattet dem besetzen Haus einen Besuch ab und schickt laut Aussage der WG, „nach einer Unterhaltung mit den Besetzer*innen Bilder an die Stadtrat-Whatsappgruppe“. Ebenfalls vor Ort ist Gabi Rolland, Landtagsabgeordnete der SPD und quasi Nachbarin, die die Besetzung als „starkes Signal“ wertet.³
Die Situation bleibt zunächst entspannt. Die Besetzer*innen wollen derweil, „im Erdgeschoß einen nicht-kommerziellen Raum eröffnen; einen Treffpunkt und eine Art Café, in dem sich die Nachbar*innenschaft treffen kann und Alternativen zur Stadtpolitik „von unten“ entwickeln soll.“²
Bis der Eigentümer Bertram Feil erscheint. In der Pressemitteilung der WG dazu heißt es zum Besuch von Betram Feil, der sich „zuerst als einer der verdrängten Mieter ausgab und sich erst nach konkreter Nachfrage zu erkennen gab. Zu dem angeblich geplanten Hausbesuch kam Bertram Feil mit Familie. Bertram Feil, welcher sich in Diskussionen mit den Besetzer*innen immer wieder in die Opfer-Rolle rückte, versuchte dies im Kontrast seiner Kinder und der Barrikaden verstärkt zu verbildlichen. Im Rahmen der Diskussion behauptete er von sich, dass er sich seinen Status erarbeitet habe und dass die ehemaligen Bewohner*innen sich nicht genug bemüht hätten. Frei nach dem Motto: „Nur wer hart arbeitet, verdient gutes.“ Auch konstruierte er eine große Verschwörung aus Medien und Sozialdemokratie, die ihn in der Vergangenheit als Lügner und nicht als Wohltäter darstellten. Im weiteren Verlauf wurde er außerdem gegen eine besetzende Person handgreiflich und versuchte selbstständig unsere Barrikaden zu demontieren“, so weiter in der Pressemitteilung der WG².
Laut Feil wolle die Züricher Familie einen Teil der Wohnungen in dem fünfstöckigen Haus beziehen, während der Rest den Schwiegereltern für den Fall eines Besuchs zur Verfügung stehen solle.
Am Nachmittag erfolgt eine Pressekonferenz mit Stadträten der SPD und JPG und zwei ehemaligen Mietparteien. Dabei bedankt sich Walter Krögner (SPD) für die „längst überfällige Aktion“ und zeigt die theoretischen Möglichkeiten der Stadtverwaltung, bei der Wohnraumthematik Druck auf Vermieter*innen aufzubauen, in einem Interview mit Radio Dreyeckland auf. Er bleibt gemeinsam mit Stadtrat Sergio Schmidt (JPG) im Haus.² ³
Gegen 16 Uhr rückt dann schwer ausgerüstete Polizei an und räumt sich ohne Ankündigung gewaltvoll den Weg zum Hauseingang frei.
In der Pressemitteilung berichtet die WG: „Dabei wurden die Menschen vor dem Haus durch Tritte, Schubser und Würgegriffe aus dem Weg geräumt. Unter dem Protest der Aussenstehenden räumten die Helmträger*innen das Haus, im Gebäude wurden acht Personen festgenommen und später auf das Revier-Nord gefahren. Die Menschen vor dem Haus ließen es sich nicht nehmen nach einer spontanen Demonstration die wieder Freigelassenen vor dem Revier in Empfang zu nehmen.“²
Eine Räumung ohne jegliche Ankündigung oder Verhandlung zeigt dabei wieder deutlich die Rolle der Polizei in Freiburg, die Eigentum um jeden Preis verteidigt, ohne auf die Legitimität des Protests einzugehen oder Dialog zu ermöglichen. Auch bei den folgenden Besetzungen zeigte sich ein rigoroses Vorgehen der Polizeiführung, diesen Protest nicht zu dulden. Stattdessen werden die Interessen, derer, die mit den Grundbedürfnissen anderer spekulieren, mit aller Schärfe verteidigt.
Im Anschluss an die Besetzung folgt am 11. Dezember eine erregte Debatte im Gemeinderat. Nachdem Oberbürgermeister Martin Horn Walter Krögner wegen des Interviews bei Radio Dreyeckland mahnt und zur Zurückhaltung bei der Unterstützung der Besetzung aufruft, legt Irene Vogel (UL) nach und fordert als Stadt zu verhindern, dass besetze Häuser geräumt werden und lieber zu überprüfen, ob eine Zweckentfremdung vorliegt. Auch Stadtrat Gerhard Frey von den Grünen stärkt die Position der Hausbesetzung und erinnert an das besetzte Dreisameck. Er fordert die Tolerierung einer Besetzung bis ein Haus tatsächlich saniert oder wieder bewohnt wird. Der Oberbürgermeister, CDU und FDP appelieren an die Gemeinderät*innen nicht zu Straftaten aufzurufen, doch was ist schwerwiegender: Ein Verstoß gegen Zweckentfremdungsverbote und Spekulation mit Grundbedürfnissen oder der Protest dagegen? Dies spricht auch Stadrat Bulut (UL) an.
Die Debatte ebbt nicht ab und Stadrat Moos (UL) kritisiert die stattgefundene Gentrifizierung und fehlende Milieuschutzsatzung im Stühlinger, mit der die Stadt Einfluss auf den Kaufvertrag für das Haus gehabt hätte. Walter Krögner verweist auf die „Leerstandsliste“ der SPD Stühlinger und erklärt, dass er weiterhin solidarisch sei mit Menschen, die durch öffentliche Aktionen auf Missstände aufmerksam machen. Die Stadträtin Buchen der SPD fordert sogar das Anprangern der Spekulant*innen.
Nun stellt sich die Frage, ob die Gemeinderät*innen auch nach weiteren Besetzungen im vergangenen Jahr ihre Solidarität aufrecht erhalten und die Prozesse ebenso begleiten werden, wie die Besetzung. (4)
Denn nun, ab Dezember 2019, sollten für die neun festgenommenen Menschen nach und nach die Prozesse folgen. Die Geschehnisse im Haus seither bekräftigen allerdings die Motivation der Besetzung. Über das letzte Jahr stand das Haus fast ausschließlich leer. Zuletzt konnten Sanierungsarbeiten und der Einzug neuer Mieter*innen beobachtet werden, womit sich die Fragwürdigkeit der Eigenbedarfsklage bestätigt.
Während die Hausbesetzer*innen wegen Hausfriedensbruch angeklagt sind und hohe Geldstrafen bekommen, kann der offensichtliche Verstoß gegen das Zweckentfremdungsverbot ungehindert stattfinden. Während die Besetzer*innen mit ihrer Aktion kriminalisiert werden, wird die Verdrängung von Mieter*innen, sowie die weitere Gentrifizierung des Stühlingers stillschweigend hingenommen.
Die ersten beiden Prozesse wegen der Besetzung in der Guntramstraße 44 im Dezember 2018 fanden noch im vergangenen Dezember statt und endeten mit teils recht hohen Strafen. Die Kampagne „die WG“ solidarisierte sich mit den Angeklagten: „WIr wollen entschieden Solidarität mit den Angeklagten zeigen und tragen die Repression gemeinsam. Niemand wird alleingelassen! Denn es trifft Wenige, aber gemeint sind wir alle! Alle die, die sich nicht verdrängen lassen, sondern Verdrängung und der Spekulation mit Wohnraum mutig entgegentreten. Da es anscheinend niemand anders tut, werden wir jetzt wieder laut und nehmen es nicht hin, dass Wohnraum als Kapitalanlage der Reichen fungiert. Wir haben kein Interesse daran, dass die Prozesse und die damit einhergehende Repression sang und klanglos an uns vorbeigehen. Wir haben kein Interesse daran, das Eigentümer*innen wie Bertram Feil ohne Behelligung in ihrem Vorgehen bestätigt werden und dadurch weitere Eigentümer*innen ermutigt werden, es ihm gleich zu tun und die Mietparteien auf die Straße zu setzen, luxus zu sanieren und anschließend teurer zu vermieten. Dadurch werden die Menschen, die im Stühlingern wohnen verdrängt und günstiger Wohnraum verknappt sich.
Wir wollen damit weiterhin die Stadt und die Gesellschaft wachrütteln und auf Alternativen und die Durchsetzung bestehender Gesetze zur Verhinderung von Spekulation und Verdrängung aufmerksam machen. Doch das allein reicht nicht. Die Wurzeln dieses Problems liegen tiefer. Verordnungen der Stadt können die Problematik maximal eindämmen, wenn sie das wenigstens tun würden. Grundlegend bleibt das Problem aber bestehen, wenn wenige mit den Grundbedürfnissen vieler spekulieren dürfen und das Eigentum an Wohraum sich auf wenige Besitzende verteilt.“
„Wir halten es auch weiterhin für legitim und notwendig ein Recht auf Stadt zu fordern, Häuser zu besetzen, zukunftsfähige Alternativen zu leben und den öffentlichen Diskurs mitzugestalten. Dabei finden wir es legitim Gesetze zu brechen und Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen, denn die Häuser sollten denen gehören, die darin wohnen. Unser Ziel ist nicht eine unzureichende Regulierung des Wohnungsmarktes, die den realen Verhältnissen immer hinterher hinkt, sondern eine Gesellschaft, in der ein „Dach über dem Kopf“ für jeden Menschen selbstverständlich ist und nicht hart erstritten werden muss. Damit stellen wir ganz klar das Eigentum an Wohnraum zur Kapitalvermehrung in Frage. Selbst in einem kapitalistischen System gibt es mit Genossenschaften, wie dem Mietshaussyndikat, die ein Schritt in die richtige Richtung sind, bereits Alternativen. Nutzen wir sie!“, so eine Besetzerin der Kampagne „dieWG“, „solang sich nichts verändert, müssen wir weiter besetzen.“
Diese Solidarität und Sichtbarmachung der Prozesse in der Öffentlichkeit, scheint auch auf den Eigentümer Bertram Feil Eindruck zu machen. Nach den ersten zwei Prozessen wurde die Anzeige wegen Hausfriedensbruch zurückgezogen und die folgenden Prozesse am 21. und 28. Januar abgesagt.
Eine weitere Aktivistin kommentiert dies wie folgt: „Wir freuen uns natürlich über diese Wendung. Allerdings werden wir unsere Kritik am Eigentümer der Guntramstraße 44 nicht schweigen lassen, wie das vielleicht gewünscht ist und nun still beigeben.“
Besetzen bleibt weiterhin legitim und notwendig!