PM “Wohnraum Gestalten” 29.10.2019:
Squatting-Days in Freiburg: 10 Tage Jubel, Trouble und Ungehorsam
Am heutigen Dienstag gehen die Squatting-Days mit letzten Aktionen und Protesten zu Ende. Zeit für ein vorläufiges Fazit, bei dem Erreichtes, Mängel und die Frage der Gewalt im Mittelpunkt stehen. Dutzende Gruppen aus fast einem Dutzend Ländern haben sich an den Aktionstagen beteiligt, das 25-jährige Bestehen der KTS zelebriert, sich vernetzt und autonome „Do-it-yourself-Kulturtage“ vom Feinsten gefeiert. Die Aktionen der vergangenen Tage haben die Wohnraum- und Eigentumsfrage erneut in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt.
Autos brennen und ihr schreibt?
Brennend interessierten sich die Medien infolge einiger Sachbeschädigungen im Stadtgebiet an der Frage dieser angeblichen „Gewalt“ gegen Akteure von Verdrängung und Krieg. Wir halten nichts davon, ein irrationales Schreckensszenario zu zeichnen mit denen die Reaktionären dem Ruf der „WG (Wohnraum Gestalten)“ und ihrer „Squatting Days“, der „Autonomen Kulturwoche“ oder dem „Kulturtreff in Selbstverwaltung (KTS)“ zu schaden versuchen. Vielmehr sollte die Öffentlichkeit versuchen, die Gründe solcher Aktionen zu begreifen und sich einer differenzierten Betrachtung der Ursachen widmen. Wir sehen Sachbeschädigungen nicht als eine besonders spektakuläre Kategorie, wenn diese als Reaktion auf Verdrängung, Wohnungsnot, alltäglichen Rassismus, patriarchale Gewalten, Krieg und Gefangenschaft geschehen.
Objektiv gewaltsam waren dieser Tage jedenfalls die Polizeieinsätze: Räumungen durch das baden-württembergische Spezialeinsatzkommando (SEK), nötigende Verhöre jugendlicher Besetzer*innen und prügelnde Polizisten auf den Straßen und auf der Wache. Die Repression gegen linke Bewegungen und Initiativen nimmt auch in dieser Stadt zu. Naheliegend ist daher auch unsere Beteiligung an den Protesten gegen neue und alte Polizeigesetze der #NoPolGBW-Kampagne, sowie die sogenannte „Sicherheitspartnerschaft“, kommunale Vollzugsdienste und drohende Ausweitung von Videoüberwachung. Auch liegt unsere praktische Solidarisierung mit den sozialen Kämpfen gegen autoritäre Unterdrückung in Chile und Syrien nahe, wo Repression ebenfalls eine andere Kategorie erreicht. Es ist dieser Tage gelungen viele Themen miteinander zu verknüpfen, auch wenn der Kampf gegen Gentrifizierung und Leerstand hier und anderswo als “WG” unser zentrales Anliegen ist und bleibt.
Do-it-together: Autonome Politik verteidigen!
„Die Squatting-Days waren eine vielfältige, anstrengende und bereichernde Zeit“, erklärt Hausbesetzerin Yana Wendlinger.
„Zwar haben wir in diesen Tagen keinen neuen Raum erkämpft und die Kriminalisierung der Proteste gegen Leerstand, Spekulation und unsolidarische Verhältnisse hat sich gesteigert. Doch wir beenden die Saison mit neuer Motivation und Tatendrang – der intersektionale Widerstand gegen das System von Eigentum, Verdrängung und Krieg wird in den kommenden Monaten weiter an Fahrt gewinnen“, versichert die Besetzerin.
Die Besetzungen der vergangenen Tage geben einen beispielhaften Einblick in die Absurdität eines Marktes, in dem weder der Staat noch vermögende Bürger*innen ihrer sozialen Verantwortung nachkommen. „Wir sehen nicht nur individuelles Verschulden, sondern eine Misere mit System und fordern realistischerweise das Unmögliche: Wohnraum darf keine Ware sein!“, sagt dazu Julian Kuhfüssler von den Squatting-Days.
Besetzen, Gestalten – das nächste mal Halten!
Die Besetzungen der alten Fahrrad-Polizeiwache konnte Zweckentfremdung durch das Land Baden-Württemberg und das Amt für Vermögensverwaltung skandalisieren. Die Besetzung in Weingarten zeigte die Absurdität jahrelangem Leerstandes von Privateigentümer*innen, der natürlich die Mietspirale ankurbelt. In der Kronenstraße konnte das Beispiel vermeintlicher Eigenbedarfskündigungen von Luxusvillen wie bereits in der Guntramstraße demonstriert werden. Zahllose weitere Absurditäten, wie die noch immer brach liegenden und vor einem Jahrzehnt zerstörten Gebäude der Post am Baslertor oder etwa der Goethestraße 2 an der Kronenbrücke; Zweckentfremdung durch Stadt (Schwarzwaldstraße 31), Land
(Fehrenbachallee) und Kirche (Kartäuserstraße 64b) und die Etablierung von Verdrängungsfirmen wie etwa Vonovia steigern unsere Wut täglich.
„Zurzeit könnten ohne Probleme Hunderte Menschen den Freiburger Leerstand bewohnen. Dass die Leerstandsquote mit 1 zu 200 gering sei, ist kein Trost,wenn Hunderte Menschen zugunsten der Spekulation mit diesen Objekten kein Dach über dem Kopf haben“, so WG-Aktivistin Irma Sauer. „Leider konnte das Ziel der langfristigen Aneignung von Räumen bisher nicht realisiert werden. Wir sind dennoch froh, dass wir nichts unversucht ließen und werden auch weiterhin auf dem Freiburger ‚Leerstandsmarkt‘ vertreten sein“.
Nach der Räumung ist vor der nächsten Besetzung
Eine ausführliche Auswertung und weitere Aktionen stehen nun an. Wir bedanken uns für die Solidarität und Beteiligung zahlreicher Gruppen, ohne die dieses autonome Festival des vielfältigen Chaos nicht möglich gewesen wäre. Es ist damit zu rechnen, dass der Staat mit Repression reagieren wird. Räumt zuhause auf, hütet euch vor Anquatschversuchen und lasst euch von den Antireppressions-Strukturen eures Vertrauens beraten. Es wird in Kürze ein Spendenkonto für die Repressionskosten eingerichtet.
Zum Abschluss der Aktionstage gab es am Dienstag ein “Go-In” beim Amt für Vermögensverwaltung, welches die Zweckentfremdung in der geräumten Fehrenbachallee betreibt. In einer kreativen Aktion besuchte eine bunte Gruppe Besetzungstierchen die Verantwortlichen und informierte Passant*innen und dort Beschäftigte über die Mitverantwortung des Amtes an der Freiburger Wohnraummisere. Nach der Räumung der Fehrenbachallee gab die Vermögensverwaltung zu, dass es trotz eines bereit 15-monatigen Leerstands noch immer keine Pläne für die Zukunft des Areals gibt. Angesichts dieser Arroganz steht fest: Unser Protest geht weiter.
Auf ein widerständiges Jahresende!